Film "Gute Tage" -
Blicke des Erzählers / auf den Erzähler.

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Film "Gute Tage" -
Blicke des Erzählers / auf den Erzähler.

Film «Gute Tage» -
Blicke des Erzählers / auf den Erzähler.

Prolog des Films,

in dem die Motive des Autors zur Sprache kommen –

in dem der Filmautor zu sehen ist.

Zwei Sequenzen des Prologs erscheinen als Einheit von Ort und Zeit – die Umgebung der beiden Katzenseen am Rand des Quartiers Zürich-Affoltern, wo ich wohne – ein Januar-Tag, an dem auf den Feldern Biecht liegt (Raureif, gefrorener Tau).

1. Sequenz des Prologs.

Im Vordergrund eine grosse Wiese. Dahinter ein Weg, der der Autobahn entlang führt. Auf dem Weg geht eine Person. Es ist UG, der Autor des Films (doch das kann man da noch nicht wissen).

Ein Kapitel zwischen den Sequenzen 1 und 2.
Die Wiese bildfüllend. In dieses Bild einkopiert ein Film-Dokument aus früherer Zeit, auf dem zu sehen ist, wie Cristina Fessler an einem Bild arbeitete.
Off-Text: «Cristina. Wir kennen uns seit Jahrzehnten. Jetzt ist es bald drei Jahre her, dass sie erkrankte und ihre Malerei aufgeben musste. Doch es gelang ihr ein Neuanfang. Nach zwei Jahren fand sie zu einer Arbeitsweise, mit der sie trotz zunehmender Lähmungen wieder künstlerisch schaffen konnte.»
(Im Kommentar wird hier das 'Wir' eingeführt und damit das 'Ich', das in der nächsten Sequenz zu hören sein wird.)

2. Sequenz des Prologs.

Nahaufnahme: Eine Bank in der Winterlandschaft. Der Filmautor UG setzt sich auf die Bank.

Off-Text: «Ich bin in den letzten Jahren wohl öfter mal gestolpert. Doch erst als ich im letzten Sommer einmal ganz aus dem Gleichgewicht geriet, begriff ich, dass ich mich auf mein linkes Bein nicht verlassen darf. Ich mache mir Sorgen, was ich tun werde, wenn ich nicht mehr mit der Kamera unterwegs sein und die Welt erkunden kann.»

UG schaut auf und es ist zu sehen –

Schnitt –

was er vor sich sieht, drei subjektive Einstellungen: In der Ebene vor einem der Katzenseen - ein Gebüsch, ein Baum, eine Baumgruppe.

Ich komme auf die erwähnten Sequenzen 1 und 2 des Prologs zurück, um mich mit deren Gestaltung und Realisierung zu befassen.

Im Prolog Sequenz 1.

Ich fixierte die Kamera auf dem Stativ, legte den Bildausschnitt fest, schaltete die Kamera ein, trat in den Bildausschnitt, ging auf dem Weg durch die Natur. (Die Szene wirkt ganz selbstverständlich. Erst in einem grösseren Zusammenhang wird sich das Publikum vielleicht die Frage stellen, wer (welcher Kameramann) diese Aufnahme gedreht haben könnte.)

Im Prolog Sequenz 2.

Ich fixierte die Kamera auf dem Stativ, wählte den Bildausschnitt, schaltete die Kamera ein, trat in den Bildausschnitt, ging zur Bank, setzte mich, hob den Blick, schaute in die Ferne –

Schnitt –

Übergang zu einer subjektiven Einstellung, zu dem, was ich von der Bank aus sah (die Kamera auf meiner Schulter, von meinem Atem leicht bewegt).

Mit den hier folgenden Einstellungen beginnen die Handkamera-Aufnahmen, die den Film weitgehend charakterisieren werden. Die dominierende Form des Films wird eingeführt – hier der Blick des Filmautors auf die Bäume vor einem der Katzenseen, später seine Blicke (mit der Filmkamera) auf die vier Künstler/innen und ihr Schaffen.

Und: Wenn ich zwischen den Besuchen bei den vier Künstlern die Natur um die beiden kleinen Seen durchstreife, beschäftigt mich auch das, was ich mit den Protagonisten erlebt habe und das, was sie mir mitgeteilt haben – Anrufe, Briefe, Mails – was oft auch eine Einleitung zu einem kommenden Besuch sein konnte, zu einer anstehenden inhaltlichen Thematik, manchmal aber auch die Sorge um einen der Protagonisten.

Die Zuschauer sind mit mir und meiner Kamera unterwegs. Es ist dem Publikum selbstverständlich geworden, dass es die Protagonisten aus meiner Sicht zu sehen bekommt. Im Prinzip bin ich nie zu sehen, kein Bild zeigt, wie ich zu einem der Protagonisten blicke. Aus meinen Bildern der Protagonisten entsteht nach und nach eine Vorstellung von dem, der da schaut.

Entgegen aller Erwartungen bin ich nach 60 Film-Minuten im Bild zu sehen. Ich trete ins Bild und setze mich auf die Bank, die am Waldrand steht.

So konnte es nicht überraschen, dass Zuschauer im Gespräch nach einer Filmvorführung fragten, wer denn diese Aufnahme gemacht habe. Im Nachspann des Films ist zu lesen, dass ich für Regie, Kamera, Ton und Montage verantwortlich zeichne, dass es keinen zweiten Kameramann gibt,

Ich schilderte dem Publikum, dass ich die Kamera auf einem Stativ fixiert hatte, sie einschaltete, in den Bildausschnitt trat und mich auf die Bank setzte. Wer aufmerksam hinschaute, konnte sehen, dass ich den gebrochenen Arm in einer Schlinge trug und dass auch mein Daumen fixiert war. Eine sog. Handkamera-Aufnahme wäre mir da gar nicht möglich gewesen. Nach dieser Einstellung ein Schnitt zu meinem Blick (zu einer sog. Subjektiven) und damit auf die Wiese am Waldrand.

Allmählicher Übergang zur Normalität des Films.

Erst nach und nach findet der Film wieder zur üblichen Form der Darstellung zurück, eine Form, die noch von meiner Behinderung geprägt ist (gebrochener Arm und Daumen, langsam heilend). Zum Blick auf die Wiese am Waldrand, erzähle ich, dass mich Renate zu ihrem Geburtstagsfest eingeladen hat. Ich würde an ihrer Einladung noch keine Filmaufnahmen machen können, würde Fotos machen.

Also bevor sich der Film (als Film) fortsetzt, eine Reihe Fotos von Renates Geburtstagsfest – eine Reihe von Standbildern.

Mehr als ein Monat verstreicht, ohne dass vom Vergehen der Zeit die Rede ist – meine Knochenbrüche heilen insgeheim, sind kein Thema mehr. Wenn ich mich wieder dem Befinden oder dem Schaffen eines Protagonisten zuwende, sind die Knochenbrüche vergessen, scheinen weit in der Vergangenheit zu liegen.

Das Autoren-Ich im Film «Gute Tage»
(die wenigen Bild- und Text-Sequenzen).

In diesem Film schaffen die vier Künstler/innen Boris Mlosch, Renate Flury, Daniel Pestel und Schang Hutter unter schwieriger werdenden Bedingungen ihre künstlerischen Werke. Im Prolog sahen wir, wie Cristina Fessler vor Jahren gearbeitet hatte, doch starb sie, ohne dass ich die letzten Tendenzen ihrer künstlerischen Arbeiten hatte aufnehmen können.

Im Prolog des Films haben die Zuschauer von meinen zunehmenden Lähmungen erfahren. Im Film bleibt dieses Leben weiterhin präsent – teils in Kommentaren, teils in Bild und Kommentar.

***

Januar 2012 (im Prolog des Films).

Der Autor auf einem Weg in der Umgebung der Katzenseen.

Er setzt sich auf eine Bank

«Ich bin in den letzten Jahren wohl öfter mal gestolpert. Doch erst als ich im letzten Sommer einmal ganz aus dem Gleichgewicht geriet, begriff ich, dass ich mich auf mein linkes Bein nicht verlassen darf. Ich mache mir Sorgen, was ich tun werde, wenn ich nicht mehr mit der Kamera unterwegs sein und die Welt erkunden kann.

Nach all den Untersuchungen hatten die Ärzte gesagt, für das Bein wäre es gut, wenn ich mich möglichst viel abseits der asphaltierten Wege draussen in der Natur bewege. Aber sonst müsste ich wohl damit leben.»

***

März 2013 (nach etwa 40 Film-Minuten).

Kahle Bäume an einem der Katzenseen. Ein Wohnquartier hinter den Waldbäumen. In der Ferne, auf einem Pfad durch den lichten Wald, ist UG zu sehen.

«Ein gutes Jahr ist vergangen. Mein blödes Bein ist noch dünner geworden und das andere hat auch noch zu schwächeln begonnen. Doch wenn ich Boris, Renate, Daniel oder Schang sehe, behalte ich das natürlich für mich.»

***

August 2013 (nach etwa 60 Film-Minuten).

Ein schmaler Pfad durch den Wald. Man kann sich leicht vorstellen, dass UG da gestolpert und verunfallt ist.

«Im Prinzip ist es gesund, sich möglichst viel über Stock und Stein zu bewegen.

Die Ärzte sagten, der gebrochene Arm sei kein grösseres Problem, doch die Knochen des Daumens seien so zersplittert, dass das Gelenk versteift werden müsse ...»

August 2013. UG setzt sich auf eine Bank am Waldrand, der linke Arm in einer Schlinge, der Daumen geschient.

«… Ich sagte, dass ich den Daumen zum Bedienen der Filmkamera brauche. Nachdem sie sich zurückgezogen hatten, um die Röntgenbilder nochmals zu studieren, sagten sie, auf ihrem Formular sei auf Grund meines Jahrgangs 'Rentner' eingetragen. Sie hätten nun noch einen Spezialisten beigezogen. Er werde es versuchen, aber ohne Garantie.»

August 2013. UGs subjektiver Blick von der Bank auf die Wiese am Waldrand.

«Ich habe von Renate eine Einladung zu ihrem Geburtstagsfest erhalten. Da ich vorläufig nichts Schweres heben darf …

*

Einige Tage später, das Geburtstagsfest von Renate Flury.

und mein Daumen stillgelegt ist, habe ich halt Fotos gemacht.»

10 Fotos von Renates Geburtstagsfest.

***

September 2014 (nach etwa 93 Film-Minuten). Bäume an einem der Katzenseen. Das Bild könnte dem subjektiven Blick entsprechen, den wir aus dem Prolog des Films kennen, wie er sich von der Bank her ergeben hatte.

«September. Bald sind drei Jahre verstrichen. Mir geht es recht gut. Ich fühle mich noch etwas unsicherer auf den Beinen und muss mich eben noch vorsichtiger durch die Welt bewegen.»

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Urs Graf

Notizen zur Filmästhetik



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