Film-Montage.

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Film-Montage.

Film-Montage.

Ich habe mich immer auf das Montieren meiner Filme gefreut, auf die Arbeit, bei der aus dem vielfältigsten Bild- und Tonmaterial ein Ganzes entsteht, bei der der Film zu seiner Form findet.

Filmmontage, allein.

Ich habe alle meine Filme selbst montiert. Nur bei der Montage der Filme, die ich mit meiner damaligen Frau Marlies Graf Dätwyler realisierte, war sie von Zeit zu Zeit dabei, konnte mich darauf aufmerksam machen, wenn mir eine vorgefasste Meinung den Blick versperrt hatte (wie das leicht geschieht, wenn man Bilder montiert, die man selbst aufgenommen hat).

Filmmontage, kollektiv.

1976, kurz nach der Gründung des Filmkollektivs haben Mathias Knauer, Hans Stürm und ich den Film «Cinéma mort ou vif?» zum Entstehen des Spielfilms «Jonas qui aura 25 ans en l'an 2000» von Alain Tanner gedreht. Schon bei unseren Dreharbeiten kam es zu Kompromissen, entstanden Bilder, die mir fremd blieben und ich denke, dass es meinen Freunden nicht anders ging. Beim Montieren des Films wurde schon nach kurzer Zeit klar, dass uns dies in gemeinsamer Arbeit nicht gelingen würde, dass wir immer wieder in ein unergiebiges Argumentieren gerieten.

Da die Initiative zu diesem Film von mir ausging, sich aus meinen medienpädagogischen Kursen ergeben hatte, und ich auch die Drehvorlage dazu schrieb, überliessen mir meine Freunde die Montage des Films.

«Cinéma mort ou vif?» ein Film über Alain Tanner, seine Arbeit am Film «Jonas qui aura 25 ans en l’an 2000», sein Anspruch, den Blick des Zuschauers zu verändern. Und seine Praxis.

Argumentieren.

Wenn man zusammen mit einem Cutter, einem Kollegen, einem Mitautor einen Film montiert, gerät man leicht ins Argumentieren, glaubt begründen zu müssen, warum ein bestimmter Schnitt die beste aller Möglichkeiten sei.

Ein Schnitt – davor eine Einstellung, deren Wirkung sich aus dem Zusammenwirken von hundert (Bild-, Ton-, Sprach-)Elementen ergibt – und danach eine Einstellung, deren Wirkung sich auch aus dem Zusammenwirken von hundert Elementen ergibt.

Der Entscheid für diesen Schnitt hat eine Art Logik, wird vom Filmer im Wissen um die hundert Elemente vor und nach dem Schnitt getroffen – ein 'Wissen', das auch all die unbewusst gebliebenen Element umfasst, die im Gesamteindrucks einer Einstellung ihre Wirkung haben – Eindrücke, die gegenüber Kollegen nicht in Worten zu fassen wären. Und einen Monat später werden dem Filmer noch weitere Elemente auffallen – aus den reicher gewordenen Zusammenhängen heraus. (Wobei korrigierend erwähnt werden muss, dass schon von Anfang an nicht nur die Einstellungen vor und nach dem Schnitt Einfluss hatten, sondern ganze Sequenzen (und darüber hinaus).

Wenn ich einen meiner Kollegen von der Richtigkeit eines Schnitts überzeugt hatte, konnte es sein – und das ist das besonders Ärgerliche an diesem Argumentieren – dass ich die Argumente am nächsten Tag noch immer im Kopf hatte und nun Argumente gegen meine Argumente von gestern finden musste, um wieder einen relativ offenen Blick auf das gedrehte Material und die getroffenen Montage-Entscheide zu gewinnen.

Das Publikum als Argument.

Im extremsten Fall des Argumentierens wird als Begründung für eine bestimmte Montage-Möglichkeit die Wirkung auf das Publikum als Argument herangezogen – ein Publikum, von dem man sich vorstellt, man wüsste, wie es reagieren wird.

Argumentierender Film.

So wird aus dem Argumentieren bei der Montage leicht auch ein argumentierender Schnitt. Und aus argumentierenden Schnitten ein argumentierender Film – ein Film, in dessen Form dieses Argumentieren eingeschrieben ist – eine Montage, die Schnitt für Schnitt etwas zu behaupten sucht.

Nichts spricht dagegen, wenn jemand beim Montieren sagt «Das wirkt auf mich …» – d.h. wenn er sich selbst als möglichen Zuschauer des Films betrachtet und den Film so zu machen sucht, wie er ihn als Zuschauer erleben möchte. Oder wenn Alain Tanner sagt (in unserem Film «Cinéma mort ou vif?»), er mache den Film für einen Zuschauer, den er sich intelligent vorstelle.

Im Filmkollektiv hat der Cutter Rainer Trinkler viele Filme meiner Kollegen montiert. So kam es immer wieder vor, dass ich zu einer Rohmontage um meine Meinung gefragt wurde. Oft waren es Filme mit Kommentaren, die sich anmassen, dem Publikum die Welt zu erklären, manchmal mit ganz unproblematisch scheinenden Aussagen, die jedoch eine Form einführen, die eine bestimmte Betrachtungsweise des ganzen Films nach sich ziehen kann.

Wenn ich meine Einwände vorbrachte, bekam ich zu hören, das sei doch allgemein bekannt oder das hätte sich bei den Recherchen als sichere Fakten gezeigt. Und sie erzählten davon. Wenn ich dann fragte, warum sie im Film nicht schildern, wer ihnen was gesagt hat, wurden plötzlich Texte vorstellbar, die etwas von ihren Wünschen nach Erkenntnissen ahnen liessen, oft auch etwas von ihrer Skepsis, ihren Zweifeln. Kurz gesagt, die Kommentartexte bekamen etwas Menschliches. Es ergab sich eine erzählerische Haltung, die nichts als Tatsache hinstellt, sondern von dem erzählt, was der Autor gesehen hat, erlebt hat, zu hören bekam. Wenn eine solche Sprache den Film prägt, wirken auch die Bilder nicht als Behauptungen, sondern als interessierte, erkundende Blicke. Und wenn es einem Filmer wichtig war, von allgemein bekanntem Wissen auszugehen, waren Sätze möglich wie: 'Man erzählt sich, dass ...' oder 'Oft hört man, es sei …'.)

Mir gefällt, wenn ich mir beim Anschauen eines Films vorstellen kann, hier werde nicht Wissen ausgebreitet, sondern dies sei eine Art Tagebuch von einer Reise ins Unbekannte.

Wenn ein Filmer vor den Dreharbeiten schon ein Bild des fertigen Films hatte, dann war es nicht wert, ihn zu realisieren.

Dies muss aber nicht ausschliessen, dass ein Film so selbstverständlich wirken kann, als wäre er schon immer da gewesen, als wäre er von niemandem geschaffen worden – als wäre er ohne Argumente zu seiner Form gekommen. Keine Spuren, die auf einen Macher hinweisen. Und natürlich auch keine Anzeichen, die den Verdacht aufkommen lassen, da habe einer Kunst machen wollen.

Wenn ich Kollegen bei der Montage ihrer Filme berate, kommt es vor, dass ich ihnen sagte, das wäre vielleicht der Zeitpunkt, um auf das Gerüst (eines Kommentars? einer Musik?) zu verzichten und zu erproben, ob der Film auch so standhält. Oft zeigt sich, dass noch mal am Aufbau des Films gearbeitet werden sollte. Manchmal konnte der Text, die Musik danach wieder hinzutreten, doch nun als etwas Eigenständiges, etwas, mit mehr eigenem Charakter.

Bewegung.

Montageraum.

Im Filmkollektiv macht mich manchmal laute Musik auf einen Film aufmerksam, der im anderen Montageraum am Entstehen ist und ich sehe, wie die Musik des Films den Filmautor erfasst hat, seinen Körper in Bewegung versetzt hat (manchmal zeigt es sich nur in einem rhythmischen Kopfnicken). Es ist mir rätselhaft. wie jemand an seiner Filmmusik arbeiten kann, wenn er zu einem Teil davon geworden ist.

Kino.

Im Kino fällt mir immer wieder auf, wie eine Bewegung durch das Kinopublikum geht, wie der Film (in wörtlichem Sinn) die Zuschauer bewegt. Beispielsweise wenn auf eine Szene heftiger Auseinandersetzungen die Totale einer Landschaft folgt und sich die Zuschauer in einer fast gemeinsamen Bewegung zurücklehnen, einen Moment tiefer atmen, zur Handlung etwas Distanz nehmen.

In vielen Besprechungen meines Films «Gute Tage» stand, der Film habe berührt, habe bewegt. Was meint das wohl, wenn man es etwas genauer wissen möchte?

*     *     *

Mir scheint, dass die Zuschauer vor dem Fernsehapparat im Wohnzimmer körperlich nicht so erfasst werden. Braucht es dazu eine grosse Leinwand? Muss ich daraus schliessen, dass mich der Fernsehapparat nur über einen Film informiert – über die Art der Bilder, der Montage, der Sprache (Aussagen, Dialoge), der Musik? über den Plot?

Aha.

Heikler ist, wenn bei einem bestimmten Schnitt so etwas wie ein gemeinsames stilles 'Aha!' durch das Kino geht, durch die Reihen der Zuschauer. Immer wieder sehe ich Filme, bei denen ich den Eindruck bekomme, sie seien auf solche Momente hin gebaut – beispielsweise auf den Moment hin, in dem zwei Szenen so zusammengebracht sind, dass die Zuschauer empfinden (sollen), da werde die Sache auf den Punkt gebracht. Und manchmal scheint mir, als würde das Publikum insgeheim einem genialen Regisseur für diesen Effekt applaudieren. Oder ist es sogar ein bisschen stolz, dass es die verborgene Bedeutung erkannt habe, die da so schön in Geschenkpapier präsentiert war? Und zwei Zuschauer wenden sich einander kurz zu – ein Blick, alles klar, sie haben verstanden und werden nach dem Film auf dieses Bild, diesen Schnitt, diesen Satz zu sprechen kommen. Der Kinobesuch hat sich gelohnt.

*     *     *

Es kommt vor, dass mir bei der Montage-Arbeit nach Tagen ein Schnitt auffällt, der dem Publikum ein simples Aha anbieten könnte. So einfach ist die Welt nicht, dass sich ihre Bedingungen durch das Zusammenbringen von zwei Bildern erklären liesse. Eine solche Logik greift zu kurz. Ich werde nach anderen Möglichkeiten der Montage suchen müssen.

Der Schnitt und das Ganze.

Da ich den Film als ein Geflecht vieler thematischer und formaler Stränge betrachte, gilt meine Aufmerksamkeit auch bei einem Schnitt dem, was sich hier davon zeigt, im Hinblick auf ihr mögliches Zusammenwirken, auf eine Ahnung vom Ganzen dieses Geflechts. Oft muss dann die Montage von neuem bei den einzelnen Einstellungen* ansetzen, sich an einer veränderten Vorstellung des Ganzen orientierend.

*Einstellung. Ich verwende dieses Wort, da es die Sache besser trifft als 'das Filmbild'. Der Begriff soll aus den Anfangszeiten des Films stammen, aus der Zeit, als die grosse, schwere Kamera noch starr auf einem Stativ stand, das Objektiv gewählt (eine bestimmte Brennweite), Distanz, Aufnahmewinkel – die Blenden-Öffnung eingestellt. Und während der Dauer der Aufnahme würde das auch unverändert so bleiben. Die 'Einstellung' war zu dieser Zeit das, was das Bild von Schnitt zu Schnitt bestimmte. Auch wenn heute die Kamera nicht mehr an solch fixe Einstellungen gebunden ist, wird meist noch dieser Begriff für das Visuelle zwischen dem Ein- und Ausschalten der Kamera gebraucht.

Wer heute von einer Einstellung spricht, denkt an das, was bei der Vorführung des Films zu sehen ist, obwohl die eigentliche Einstellung (die Aufnahme) oft sehr viel länger war. Und seit es den Tonfilm gibt, gehört auch der Ton (mindestens der Originalton) zu dem, was man Einstellung nennt.

Das Warum.

Wenn ich gefragt werde, warum ich eine Sequenz auf eine bestimmte Weise montiert habe, kann ich auf keine theoretischen Prinzipien zurückgreifen, kann ich nur erzählen, wie eine Sequenz zu ihrer Form gekommen ist, was ich versucht hatte, warum mich das nicht überzeugt hat, wie ich weiter gesucht habe, bis es zu dieser Form gekommen war.

Und wenn mich die Gestaltung einer Sequenz wirklich überzeugt hatte, war es immer noch möglich, dass sie nach Monaten, nach Änderungen an anderen Stellen des Films, wieder in Frage gestellt wurde – aus immer grösser werdenden Zusammenhängen heraus.

Die Teilnehmer von Kursen praktischer Filmarbeit wussten, dass ich sie auf die herkömmlichen Formen der Gestaltung, auf die Konventionen des Kinos aufmerksam machen konnte, doch sie bekamen von mir nie zu hören, etwas sei richtig oder falsch. Sie lernten nur genau hinschauen, hinhören, um – im Wissen um die Mittel der Gestaltung – zu ihrer eigenen Sprache zu finden. So reagierte ich wohl immer etwas unwillig, wenn jemand versuchte, einen Film nach einem bestimmten Muster zu machen. Auch wenn es ironisch und amüsant war, hatte ich den Eindruck, jemand habe Möglichkeiten eigener Erfahrungen verpasst.

Film kneten.

Ich kann unendlich viele Gründe nennen, die für oder gegen bestimmte Formen filmischer Gestaltung sprechen. Doch solches Wissen hilft meistens nur, um etwas zu vermeiden – um das zu vermeiden, was ich als Zuschauer nicht mag.

Wenn ich mich bei der Montage der endgültigen Form des Films nähere, gibt es keine Argumente mehr, dann bin ich nur noch am Kneten, am Herumkneten – dort etwas wegnehmen, dort etwas hinzufügen, bis mich nichts mehr stört, bis ich das Gefühl habe, jeder Eingriff könnte etwas am Erscheinungsbild des Films zerstören. Ich will damit nicht sagen, dass alle Ecken und Kanten beseitigt sein müssen; es kann mich ebenso stören, wenn etwas allzu geglättet ist.

Beispiel Filmmusik: Sie gefällt mir an einer Stelle besonders gut, wird zu einem ganz selbstverständlichen Teil des Films. Und ich achte nicht mehr darauf. Doch plötzlich, nach einer Woche oder einem Monat, fällt mir auf, wie leichtfüssig die Musik über diese Szene hinwegführt, wie leicht ich darüber hinwegsehe, wie der Szene jedes Gewicht genommen wurde. Also schliesse ich versuchsweise den Regler der Musik-Spur, schaue mir die Szene ohne Musik an und bin erstaunt, welche Wirkung die Szene hat, wenn man sie in Ruhe lässt.

Zeit.

Verlängern, verkürzen.

Wenn sich der Film seiner definitiven Form nähert, schaue ich ihn oft auf eine bestimmte thematische oder formale Thematik hin an. Und oft bemerke ich dabei etwas, auf das meine Aufmerksamkeit nicht gerichtet war und empfinde, dass eine Einstellung vielleicht doch noch zwei oder drei Kader länger oder kürzer sein sollte.

Ich denke, dass das Gefühl für die angemessene Dauer nur verlässlich ist, wenn ich nicht auf diese Einstellung, auf diesen Schnitt konzentriert bin.

Kino-Zeitgefühl.

Ich erinnere mich noch genau an einzelne (fremde) Filme, in denen ich an einer bestimmten Stelle einen Schnitt erwartet hatte – aus dem Rhythmus heraus, der diesem Film eingeschrieben war oder auch aus den Film-Konventionen heraus, die sich bei mir Film für Film eingenistet haben – und der erwartete Schnitt kam nicht, die Einstellung dauerte an, entscheidende fünf oder sogar zehn Sekunden über den Moment hinaus, der mir so zwingend erschien. Die Zeit beginnt sich zu dehnen und eine Szene bekommt eine unverhoffte Bedeutung. Gerade bei 'leeren' Szenen habe ich das oft erlebt – beispielsweise wenn jemandem die Türe hinter sich geschlossen hatte. Oder wenn sich jemand so weit entfernt hatte, dass er nur noch ein Punkt in der Landschaft war. Allerdings können solch gedehnte Momente auch allzusehr nach Bedeutung rufen – eine Gratwanderung.

*     *     *

Ich bin überzeugt, dass dieses Zeitgefühl eher eine Sache des Körpers als des Kopfes ist, dass es der Körper ist, der den Atem des Films aufnimmt und von diesem sitzengelassen werden kann.

Arbeitsraum der Filmmontage.

Bei der Realisierung meiner Filme begriff ich bald, dass ich für die Montage nicht nur Vorstellungen der vorhandenen Bild- und Tonaufnahmen im Kopf haben musste (auf Grund des ablaufenden Materials, das ich auf dem Bildschirm in seiner Dauer vor mir sehe), sondern diese Bilder auch konkret vor mir haben sollte – greifbare Skizzen auf Papier, Zettel, die sich auf dem Tisch herumschieben und in Beziehung bringen lassen.

Es ist nicht auszuschliessen, dass dies mit meinen Erfahrungen mit Filmstreifen (mit Materie) zusammenhängt – mit Einstellungen, die ich aus dem Film entfernte (in den Hände hatte), kurz hinlegte (auf den Tisch), zu anderen Einstellungen, die da schon lagen (die sich auch aufdrängten oder deren Reihenfolge ausprobiert werden wollte), weghängte (zu verschiedenstem eventuellem Material), sie an einem andern Ort wieder einzusetzen suchte.

Es kann aber auch sein, dass mein Zeichnen und Malen damit zusammenhängt, Tätigkeiten, die auf die Intelligenz, die Fantasie, die Gestaltungskraft der Hände vertrauen.

Und es gibt so viele Bereiche im Leben, in denen man sich auf das verlässt, was die Hände wissen und können. Wenn, bei zunehmender Digitalisierung, nur noch Finger eine Taste ihrer Wahl drücken können, fliesst die Erfahrung und Intelligenz des Körpers nicht mehr in das Tun, in das Gestalten ein.

Im Montageraum habe ich das gedrehte Filmmaterial in verschiedener Form um mich –

auf der Festplatte des Computers –

auf dem Bildschirm rechts: der Aufbau des Films schematisch dargestellt, hörbar über dessen Lautsprecher –

auf dem Bildschirm links: Filmaufnahmen als Vollbild abspielbar, hörbar über dessen Lautsprecher.

Wie das auf PC-Bildschirmen üblich ist, sind alle Bild- und Tonaufnahmen als 'Dokumente' in 'Ordnern' aufgelistet – anfangs nach Protagonisten und Landschaften, später auch Ordner mit Off-Texten und Musik. (Hier geschildert am Beispiel meines Films «Gute Tage».)

Bald aber auch Ordner mit möglichen Sequenzen zu einzelnen Protagonisten.

Später Ordner mit Versionen des sich entwickelnden Films, beginnend mit Nummer 1 bis zu Nummer 134, dem fertige Film. Jeder Versuch zu einer neuen Fassung unter der nächsthöheren Zahl gespeichert (der Unterschied zwischen den Versionen 42 und 43 lag allerdings nur in einer einzelnen Sequenz).

Doch habe ich das gedrehte Filmmaterial auch auf Papier um mich – Skizzen für die Filmbilder, Stichworte für die Aussagen und Off-Texte.

Und Skizzen und Stichworte für eventuelle weitere Filmbilder, Aussagen, Off-Texte.

Und die Protokolle zu aktuellen Arbeiten.

Die grosse Pinnwand an der Wand in meinem Rücken.

Auf der Pinnwand Zettel (5 x 7cm), auf denen wenige Striche Sujets in der Form ihrer filmischen Darstellung andeuten. Keine Worte, keine Begriffe, nur Bilder, Skizzen von Filmbildern, Skizzen der Vorstellungen zukünftiger Filmbilder. Wenn Stichworte darauf stehen, beziehen sich auf Aussagen in diesen Einstellungen.

Die Zettel in verschiedenen Farben den Protagonisten zugeordnet, und Grün für die Landschaftsaufnahmen. Rote Marken darauf, wenn eine Fassung mich nicht überzeugt, noch zu bearbeiten ist, vielleicht auch wegfallen wird.

Weisse Zettel für eventuelle Aufnahmen.

Später kommt dann auch noch die Musik in schmalen hell- und dunkelroten Streifen hinzu (Piano oder Akkordeon), die meistens mehrere Szenen (Zettel) miteinander verbinden.

Für den Film «Gute Tage» hatte ich die zwei Meter breite Pinnwand in drei nebeneinander liegende Teile aufgeteilt, entsprechend den drei Jahren Drehzeit des Films (als sich dies abzuzeichnen begann). In jedem der drei Teile 4 bis 5 senkrechte Reihen möglicher Bildfolgen. (Aneinander gehängt, hätte diese Folge von Skizzen etwa eine Länge von zwölf Metern ergeben.)

Die kleine Pinnwand neben dem Montagetisch.

Kopien der protokollierten Aussagen, von denen ich gerade Ausschnitte in eine Sequenz einzuarbeiten suche – längere und kürzere Fassungen.

Die Originale der Bild- und Ton-Protokolle liegen in zwei Ordnern bereit.

Ich habe alle Aussagen selbst protokolliert. Nur dadurch sind sie mir bis in die Details präsent. So kann ich auch auf Kombinationen von Texten kommen, deren Aufnahmen Wochen auseinander lagen.

*     *     *

Entwicklung des Films auf der Pinnwand.

Zu Beginn der Montage waren die Zettel nach Protagonisten geordnet; doch schon bald begannen sie den Aufbau des Films so abzubilden, wie er zur Zeit auf dem Montage-PC war. Immer wieder hängte ich die Zettel um, damit sie der aktuellen Form des Films entsprachen und immer wieder montierte ich den Film um, damit er der sich entwickelnden Form auf der Pinnwand entsprach. Ein ständiges Hin und Her.

Auf der Tischplatte vor der grossen Pinnwand.

Auf der schmalen Tischplatte herumgeschobenen Zettel, Alternativen zu einem Kapitel des Films. Oft zwei oder drei Montage-Möglichkeiten nebeneinander – und die Entwürfe zu anstehenden Kapiteln. Mit Scotchband aneinandergeklebt, wenn mir eine Fassung im Moment einleuchtete. Und dann – vielleicht nach einmal Drüberschlafen – in den Ablauf des Films auf der Pinnwand eingebaut; doch im Bewusstsein, dass eine im Moment überzeugende Folge von zwei Einstellungen unbedeutend war, solange sie nicht in der ganzen Form des Films aufgehoben war. Und doch falle ich immer wieder auf Formen herein, die mir (in einem beschränkten Zusammenhang) Sinn zu machen scheinen.

Ever tried. Ever failed. No matter. Try again. Fail again. Fail better. (Samuel Beckett)

Versionen.

Die Zettel auf der Pinnwand entsprechen der aktuellen Fassung auf dem Montage-PC, beispielsweise der Fassung 27. Doch erinnere ich mich an die vorangegangene Fassung 26, die ja auch ihre Qualitäten hatte. Und wie das bei Computern so ist, sind auch die vorangegangenen Fassungen im Ordner gespeichert, sodass ich diese wieder anschauen, vergleichen kann. Da sich die Fassungen nicht als Ganzes unterscheiden, sondern meist nur durch die Veränderungen einer bestimmten Sequenz, ist es relativ einfach, sich in dieser Vergangenheit zurechtzufinden. Vor allem, weil neben der Pinnwand eine Liste mit den Fassungen 1 bis 27 hängt – bei jeder Nummer ein Hinweis auf den Unterschied, auf die darin veränderte Sequenz.

Im Unterschied zur Filmmontage (zur Montage mit wirklichem Film-Material) bleibt die Vergangenheit auf dem Computer greifbar. Das kann dazu ermuntern, Risiken einzugehen, weil man sich bewusst ist, dass man immer auf den Stand von Gestern zurückkommen kann. Jede Version ein provisorischer Schritt der Annäherung an das, was ein Film werden könnte. Aber auch ein Schritt, der leicht rückgängig gemacht werden kann, zurück zum Ende der Fassung 26.

In der Version 27 war ich auf Formen der Darstellung gekommen, die ich nicht verlieren mochte. Für solche Situationen habe ich den Ordner 'Archiv' eingerichtet und so kann ich dort ablegen, was mir in Fassung 27 besonders gelungen erscheint. (Und auch auf der Pinnwand ist diese Bildfolge nicht verschwunden, nur mit einem Farbstreifen in Frage gestellt.)

Ich werde also vom Ende der Version 26 aus einen andern Weg suchen – eine neue Version 27 bauen. Und wenn es mir an einer Stelle Sinn zu machen scheint, kann ich das einbauen, was im Archiv aufbewahrt ist. (Sonst wird es dort noch einige Zeit liegenbleiben.)

*     *     *

Materie und Vorstellungen.

Von vielen Künstlern, Schriftstellern, Filmautoren ist bekannt, dass ihnen die wirklich entscheidenden Dinge nicht am Arbeitsplatz einfallen, nicht bei der direkten Konzentration auf das Werk, sondern beim Duschen, beim Spazieren. Das ist bei mir nicht anders. Das Besondere ist lediglich, dass ich das Werk und seine Möglichkeiten in vielfältiger Weise präsent habe. So kommt vor, dass ich im Wald bin oder im Tram und mir aufgeht, dass ein Zusammenhang besteht zwischen dem Bild in der Mitte der Pinnwand (der Skizze und deren filmischer Realisierung) und einem Bild am unteren Ende dieser Einstellungsfolge oder den Skizzen, die zur Zeit auf dem Tisch liegen – zwischen zwei Elementen, die im Film mehrere Sequenzen auseinander liegen, zehn Minuten voneinander entfernt. Das mag etwas kompliziert klingen, doch geht es gerade darum, dass einem auch Beziehungen aufgehen können, die sich nicht anbieten, wenn man fleissig und mit etwas zu engen Blick an der Arbeit ist.

Wenn ich den Montageraum betrete, ist der Film nicht erst präsent, wenn ich den Computer einschalte. Der Film ist im ganzen Raum. Ich habe den Film nicht nur vor mir, sondern in verschiedensten Formen um mich. Und es sind wohl diese Vorstellungen, die mich auf Spaziergängen begleiten, dann wenn der Film weit weg zu sein scheint.

Wenn ich mich auf die Komplexität eines Themas, die Widersprüchlichkeit der Filmaufnahmen und all die unerwartet auftauchenden Bezüge einzulassen suche, brauche ich für die Montage viel länger, als das üblich ist.

(Für die Finanzierungsgesuche habe ich mich in einem Rahmen gehalten, von dem ich dachte, dass ihn die sog. Experten für akzeptierbar halten – vier Monate – im Bewusstsein, dass das für mich völlig unrealistisch ist.)

Für die reine Montage meines Films «Gute Tage» brauchte ich ein Jahr, das heisst: Ein Jahr plus die Montage, die Tag für Tag, meine Drehabeiten begleitetet hatte.

Hybride Montage.

Ein Jahr hybride Montage: Elf Monate mit bescheidenen (doch vollauf genügenden) technischen Mitteln und ein Monat mit dem sonst gebräuchlichen technischen Aufwand.

*     *     *

Den Zeitaufwand eines Jahres konnte ich mir nur leisten, weil mir mein Kollege, der Cutter Rainer Trinkler, im Filmkollektiv einen Montageraum eingerichtet hatte, der auf die für mich notwendige Technik beschränkt war. Und weil ich allein arbeitete, wodurch das sonst übliche Cutter-Honorar wegfiel. Und weil ich natürlich das Honorar für dieses ganze Jahr nicht bezogen habe. Es war auch nicht da.

Da Rainer für verschiedenste Produzenten und Filmautoren arbeitet, muss er sich ständig auf die neusten technischen Entwicklungen einlassen, sich ständig neue Geräte und Programme anschaffen, was natürlich entsprechend kurze Zeiten der Amortisierung mit sich bringt. Und entsprechend hohe Ansätze für dessen Nutzung.

Wenn ich von Zeit zu Zeit gestalterische Vorstellungen hatte, die mit meinen Geräten nicht zu realisieren waren, konnte ich mich an Rainer wenden und dessen technische Einrichtung, Programme, Erfahrung nutzen. Und in den letzten Phasen meiner Arbeit und des Exportierens meines Materials für das Tonstudio und das Color-Grading (Lichtbestimmung) war ich natürlich auf ihn und seine Einrichtungen angewiesen.

Hybride Filmproduktion.

Vor Jahren habe ich einen Text von Alexander Kluge gelesen, in dem er das Prinzip hybrider Spielfilm-Dreharbeiten darlegt.

Wenn bei der Realisation eines Spielfilms Aussenaufnahmen mit 30 Schauspielern und 300 Statisten gedreht werden, braucht es eine Equipe von 30 Personen. Diese Dreharbeiten dauern 3 Tage. Angestellt werden die 30 Personen aber für die ganzen Dreharbeiten, also auch für die 30 anderen Tage, an denen nur 3 Schauspieler beteiligt sind, teils sogar in Innenräumen. (Und diese in Studios aufgebaut, damit die ganze Equipe Raum findet?)

Hybrid wäre: 3 Tage mit einer 30er-Equipe und 30 Tage mit einer 5er-Equipe.

Wenn an 30 Tagen nur eine 5er-Equipe arbeitet, ist das billiger, also kann man sich Zeit lassen und sogar 5 oder 10 Tage länger an diesen Szenen arbeiten, zu besseren Resultaten kommen (und viel günstiger ist es immer noch).

Die Praxis des hybriden Films bedeutet aber auch, dass ein Filmautor nicht aus der Not eine Tugend zu machen sucht und den Film schon im Drehbuch auf Situationen beschränkt, an denen nur 3 Darsteller und eine 5er-Equipe beteiligt sind (ein Kammerspiel), obschon es dem Film gut tun würde, wenn sich der Raum von Zeit zu Zeit etwas öffnen und das Leben in der Stadt einbeziehen würde – was in drei Tagen mit einer Equipe von 30 Personen leicht zu realisieren wäre.

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Urs Graf

Notizen zur Filmästhetik



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