1978
Selbstdarstellung selbstverwalteter Betriebe im Buch «Inseln der Zukunft», darunter die Filmkollektiv Zürich AG.
Filmkollektiv Zürich (Thema Selbstverwaltung).
Filmkollektiv Zürich AG, Filmproduktion, Josefstr. 106, 8005 Zürich.
(damalige Adresse.)
1975 wurde die Filmkollektiv Zürich AG gegründet: Ein Zusammenschluss von Filmtechnikern, Filmautoren, Mitgliedern der Filmcooperative Zürich (des Alternativ-Verleihs) und anderen an politischer Filmarbeit Interessierten, mit dem Ziel, durch die Schaffung eines gemeinsamen Materialparks, einer produktionellen Infrastruktur, die Bedingungen für die Filmarbeit und die Filmproduktion zu verbessern.
Filmkollektiv: Praxis und Ziele.
Eine der Zielsetzungen des Filmkollektivs ist die Zusammenarbeit mit der Filmcooperative und deren Unterstützung. Durch dieses Zusammengehen von Filmproduktion und Filmverleih wurde die sonst übliche Arbeitsteilung durchbrochen: Informationen, Diskussionen, Einfluss von Seiten der Produktion auf die Art, wie ein Film eingesetzt wird, und eine Rückkoppelung, die dazu führt, dass aus dem Einsatz der Filme für die zukünftige Produktion gelernt werden kann.
Unsere Filme wurden teilweise direkte Reaktionen auf die Situationen, die wir im Einsatz der Filme durch die Filmcooperative kennenlernten.
Weitere Gründe für den Zusammenschluss im Filmkollektiv waren und sind:
- Der Wunsch, sich bessere Arbeitsbedingungen zu schaffen und damit auch die Arbeitsqualität zu verbessern. Darum wurden die Produktionsmittel in einem Haus zusammengelegt und gemeinsam weiter ausgebaut: Kameras und Ton-Aufnahmegeräte, Beleuchtungsmaterial, Bühnenmaterial, Requisiten und Kostüme, leichte Lastwagen, Tonüberspielungsanlage, Montagetische, Video-Aufnahmegeräte und Videothek, Werkstätte; Visionierungsraum für 16mm-Filme und 35mm-Filme, Doppelbandprojektion, Video; Büros für Produktion, Verkauf, Kino-Verleih, Parallel-Verleih.
- Der Wunsch, sich für die Herstellung und den Verleih von Filmen einzusetzen, die sonst - auf Grund der Marktsituation - keine Unterstützung finden könnten.
- Der Wunsch, der Vereinzelung zu entgehen und nicht nur Konkurrenzbeziehungen unter Filmschaffenden zu haben. Und damit auch die Hoffnung, durch diesen Zusammenschluss und den dadurch entstehenden allgemeineren Treffpunkt und Diskussionszusammenhang politisch und fachlich weiterzukommen: bessere, nützlichere Filme realisieren zu können.
- Der Wunsch, nicht nur Filme zu produzieren, die sich kritisch mit dem Leben im kapitalistischen Gesellschaftssystem auseinandersetzen, sondern auch in unserer eigenen Praxis eine Alternative aufzubauen - einen selbstverwalteten Betrieb.
Unsere bisherige Arbeit.
Wir haben Filme produziert und realisiert: «Kaiseraugst», «Lieber Herr Doktor», «Aufpassen macht Schule», «Cinéma mort ou vif?», «Gösgen», «Kollegen». Und wir haben Filme koproduziert: «San Gottardo», «Alzire», «Die Erschiessung des Landesverräters Ernst S.», «Raimon», «Clément Moreau – Gebrauchsgrafiker», «Hans Staub – Fotoreporter», «Le Gaz des champs», «Les Indiens sont encore loin», «Les petites fugues».
In (Ko-)Produktion sind gegenwärtig: «Sono emigrata», «Ritorno a casa», «Maurice Bavaud» (def. Titel: «Es ist kalt in Brandenburg»), «Spuren» (def. Titel «Die unterbrochene Spur»).
Keiner dieser Filme ist, wie eine gewöhnliche Ware, für eine Kundschaft produziert worden, die die vollen Produktionskosten bezahlt - sie waren alle nur möglich dank Subventionen und Fernsehbeteiligungen. Anders kann man in unserem Land - von ganz wenigen Ausnahmen und den Auftrags-, Werbe- und Sexfilmen abgesehen - keine Filme finanzieren.
Daher ist auch das Filmkollektiv auf öffentliche Gelder angewiesen und auf Erfolge über die Landesgrenzen hinaus. Es ergibt sich ein Qualitätsdruck, der natürlich auf die kollektive Arbeit Rückwirkungen hat.
Dennoch ist es gelungen, eine Reihe von Filmen für die politischen Auseinandersetzungen zu machen, die von jenen Finanzierungsstrukturen unabhängig waren, weil sie in Gratisarbeit gestaltet und mit Spenden finanziert werden konnten: «Kaiseraugst» (1975); «Lieber Herr Doktor» (1977); «Aufpassen macht Schule» und «Gösgen» (1978). Mit Spendensammlungen waren freilich nur die Fremdkosten zu decken: Filmmaterial, Laborkosten, Tonstudiomiete; weder Honorare noch die Miete für Kameras, Tongeräte, Licht und Montagetische konnten dem Filmkollektiv vergütet werden.
Die Rechtsform.
Wir hatten eine Aktiengesellschaft gegründet, weil uns diese Geschäftsform nach aussen (etwa im Verkehr mit Fernsehanstalten, Banken) nötig erschien, und wir halten diese Rechtsform auch heute noch für nützlich.
Ursprünglich hatten wir vor, das technische Material in eine Stiftung einzubringen, die es jeweils an die AG vermietet hätte. Dies, um nicht den gemeinsam erarbeiteten Besitz und die gestifteten privaten Geräte den erheblichen Risiken unserer Unternehmungen auszusetzen. Leider versäumten wir es, die Probleme dieser Stiftung anzugehen, und verschoben die Sache in der Euphorie des anfänglichen steilen Aufstiegs und im ständigen Zeitdruck: es blieb also als rechtliches Gerüst des Filmkollektivs nur die AG, was sich später rächen sollte.
Ungleichgewichte.
Da bei der Gründung nicht alle gleich viel Geld in Aktien anlegen konnten, ergab sich von Anfang an eine Konzentration von Aktien bei zwei Personen. Geplant war, dass diese Aktien nach und nach breiter gestreut werden müssten (jedes Mitglied zwei oder drei Aktien).
Da wir nicht die Filme gemacht haben (und auch nicht machen wollen), die sich auf dem Markt am besten verkaufen, konnten wir uns nur Minimallöhne zahlen für die regelmässig im Hause Arbeitenden (1500.- Franken). Solche Löhne reichen aber nicht aus, damit sich alle Mitglieder hätten Geld auf die Seite legen können, um sich Aktien zu kaufen.
Entscheidungsmechanismen.
Bei der Gründung des Kollektivs herrschte Einmütigkeit darüber, dass alle vors Plenum gehörenden Fragen bis zum Konsens diskutiert werden müssten. Wir wollten also niemals abstimmen - und erst recht nicht auf Aktienbasis. Es hat sich gezeigt, dass dieser Grundsatz benutzt werden konnte, um Entscheide so lange aufzuschieben, bis sie durch die Praxis überholt oder zum sogenannten Sachzwang geworden waren.
Der gemeinsame Nenner?
Im Kollektiv haben sich sehr verschiedenartige Leute mit den unterschiedlichsten Interessen zusammengeschlossen, weil jeder hoffte, mit diesem Zusammenschluss seine Bedürfnisse besser befriedigen zu können. Alle haben also ein Interesse am Bestehen und Funktionieren des Filmkollektivs, aber fast jeder erwartet von ihm etwas anderes.
Wir kennen im Filmkollektiv keine verbindliche politische Linie. Die Standpunkte der einzelnen Mitglieder sind sehr unterschiedlich. Alle würden vermutlich unterschreiben, dass Sozialismus ein Ziel sei. Die Meinungsverschiedenheiten würden aber sofort einsetzen, wenn wir uns über den Weg zum Sozialismus einig werden müssten. Dies hat aber noch nie dazu geführt, dass, ein Filmprojekt eines Mitglieds durch die anderen Mitglieder verhindert worden wäre. Tatsache ist aber leider auch, dass die Diskussion des Weges also auch unserer Praxis, bisher vernachlässigt worden ist.
Eintrittskriterien, Mobilität.
Für die Entwicklung des 'Kollektivs' ist es wichtig, dass personelle Wechsel möglich sind; doch gab es für das Hinzukommen und Weggehen von Mitgliedern nie eine anerkannte Regelung.
Die bisherige Praxis des Dazukommens: Wenn jemand bestimmte Mitglieder des FKZ kennt und diese mit Arbeit überlastet sind, beginnt er dort zu helfen, Arbeiten zu übernehmen. Nach einiger Zeit hat er sich in bestimmten Funktionen unentbehrlich gemacht, oder er ist von jener Arbeit enttäuscht und versucht in einem anderen Bereich des Hauses zu arbeiten, oder aber er zieht sich zurück.
Es war immer schwierig festzustellen, wer Mitglied des Kollektivs ist, und die Frage hat uns auch nie stark interessiert, denn immer gab es ein Umfeld von Leuten, welche sich langsam annähern, oder solchen, die mit uns zusammenarbeiten, ohne dass sie sich entscheiden mochten, formell Mitglied der Gruppe zu werden.
Ein Konflikt.
Solange alles gut ging - das FKZ sich rasch und perspektivenreich zu entwickeln schien—, erkannten wir nicht, wie wankend die Grundlagen eigentlich waren: weder verbanden uns ja starke und sich weitgehend deckende gemeinsame Interessen, noch sorgten gemeinsam definierte Eintrittskriterien für eine Homogenität der Mitglieder, noch gab es eine gemeinsame politische Zielsetzung, die bei einem Konflikt hätten regulierend wirken können.
Und als dieser Konflikt kam - natürlich ausgelöst und zugespitzt durch ökonomische Probleme, die die Gemeinsamkeit auf eine harte Probe stellten, rächten sich die Versäumnisse, traten die verdrängten politischen und Interessengegensätze und Strukturfragen hervor.
In einem hierarchisch organisierten Betrieb werden die Konflikte weniger ausgetragen als in einem Kollektiv. Der Chef, das Management, der Verwaltungsrat bestimmt, und damit ist der Konflikt 'gelöst'. Der Angestellte passt sich an, er geht oder wird entlassen. In einem Kollektiv ist nicht leicht zu bestimmen, wer sich wem anpassen soll / muss, wer geht und wer bleibt und zu welchen Bedingungen: welche Wertmassstäbe werden dabei angelegt - worum geht es in erster Linie? Um die Zukunft des einzelnen? Um die Erhaltung des Kollektivs? Wer soll darüber urteilen?
Keiner von uns hat Lust, die Konflikte des vergangenen Jahres noch einmal auszugraben. Wenn von ihnen hier die Rede ist, dann nur, weil wir uns die Frage stellen müssen, wie solche Situationen in Zukunft vermieden werden können.
Es gab zwei Konflikte, die dazu führten, dass die Mehrheit nicht länger mit einer bestimmten Gruppe zusammenarbeiten wollte:
- Die Tätigkeit dieser Gruppe (Differenzen darüber, welche Filme wie in die Kinos zu bringen sind).
- Die Autonomisierungen dieser Gruppe (Verweigerung von Informationen; Handeln gegen Forderungen der Mehrheit).
Da nun in unserem Kollektiv kein Mehrheitsentscheid möglich war - dafür fehlt die rechtliche Regelung und dafür gab es auch keine interne Einigkeit und Praxis -‚ blieb schliesslich nur das Aktienrecht zur Lösung des Konflikts. Das bedeutete, dass ein 'Grossaktionär' und die austretende Minderheit den anderen Mitgliedern diktieren konnten, unter welchen Bedingungen sie das Filmkollektiv übernehmen mussten / konnten. Die Minderheit hätte das Kollektiv nicht übernehmen können, weil sie dann den vielen austretenden Mitgliedern ihre Lohnguthaben nicht hätte auszahlen können. (Die Dokumentarfilmer hatten im Kollektiv Filme realisiert und dafür meist nur sehr wenig Geld bezogen. Die Filmtechniker hingegen waren meist bei Produzenten von Spielfilmen angestellt und erhielten dort die üblichen Löhne.)
Einige Konsequenzen.
Um in Zukunft solche Entscheide durch das Aktienrecht zu vermeiden, haben wir (die Mitglieder, die das FKZ nach der Trennung weiterführten) uns entschlossen, eine Mehrheit der Aktien in eine Betriebsgenossenschaft einzubringen, welche dann die Filmkollektiv Zürich AG führen wird - jedes Mitglied mit einer Stimme. (Zur Schaffung dieser Genossenschaft kam es nicht, doch haben wir nach und nach die Aktien immer gleichmässiger verteilen können.)
Wir glauben keineswegs, damit die Probleme gelöst zu haben, denn wo eine Mehrheit entscheidet, gibt es auch eine unterliegende Minderheit. Und wie entsteht eine Mehrheit? Welches Gewicht hat dabei der unterschiedliche Status der einzelnen Mitglieder?
Aber nach all den Erfahrungen sind wir doch zur Einsicht gelangt, dass bei grundsätzlichen und tiefgreifenden Differenzen, die, werden sie nicht beigelegt, alle Bereiche der Arbeit lahmlegen, zu ständigem Misstrauen und zu Intrigen führen, es doch produktiver sein wird, wenn in letzter Instanz mit Mehrheitsentscheid auch ein Ausschluss oder eine Trennung beschlossen werden kann, bevor zu viel Energie verloren gegangen, die Vertrauensbasis im Kollektiv untergraben, die Atmosphäre unwiderruflich vergiftet ist; bevor Leute resignieren oder keinen anderen Weg mehr als den Austritt sehen, um sich den gruppendynamischen Belastungen entziehen zu können.
Unsere gegenwärtige ökonomische Situation.
Als wir uns zum Filmkollektiv zusammenschlossen, glaubten viele, dass die Spielfilme mit ihren relativ hohen Budgets nicht nur einen grossen Teil der Infrastruktur tragen würden, sondern darüber hinaus die Realisierung politisch aktueller Interventionsfilme ermöglichen könnten. Die Praxis sah dann aber anders aus. Es waren die Dokumentarfilme, die vor allem die Grundkosten des Hauses trugen und die schliesslich auch hohe Belastungen, die aus Spielfilmproduktionen resultierten, tragbar machten.
Für unsere grösste Spielfilmproduktion, «Les petites fugues», wurde nicht genügend Geld gefunden, zudem ist das Budget stark überzogen und der Film erst noch mit einem Jahr Verspätung fertiggestellt worden. So ergab sich für uns aus dieser Produktion ein (vorläufiger) Verlust von 400'000 Franken. Dass so etwas überhaupt vorkommen konnte, hängt mit der unverantwortlichen Arbeitsweise ehemaliger Mitglieder zusammen, doch ist natürlich jeder dafür mitverantwortlich, der sich nicht selbst um diese Produktion gekümmert hat, die auf unseren Rücken ausgetragen wurde.
Als es dann um die Trennung von einer Fraktion im FKZ ging, wurde klar, dass diejenigen, die das Kollektiv, weiterführen wollten, diese Schulden zu übernehmen hatten. Mit dem grössten Einsatz aller heutigen Mitglieder wird es vielleicht möglich sein, nach einem Jahr intensivster Arbeit den Lebensunterhalt für alle wieder zu gewährleisten. Heute geht es um das Überleben des Hauses. Die Ökonomie hat dadurch einen Vorrang erhalten, der viele Probleme im Zusammenarbeiten und Zusammenleben schafft. Als positiv kann immerhin gesagt werden, dass wir bisher keinen Film produziert haben, zu dem wir nicht stehen können.