Schnitte, Zwischenschnitte.

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Schnitte, Zwischenschnitte.

Schnitte, Zwischenschnitte.


Teil 1.

Schnitte.

Diskussion nach der Vorführung des Films «Cinéma mort ou vif?» (hier Text-Ausschnitte aus dem Almanach 1981 des Kuratoriums des Kantons Solothurn für Foto und Film).

Frage aus dem Publikum: Was wollen Sie bei den Zuschauern erreichen, wenn sie zwischen zwei Aussagen einer Person für einen Moment Schwarz einfügen?

UG: Ich denke dabei nicht an die Zuschauer. Mir scheinen diese Gestaltungsmittel am Klarsten und Selbstverständlichsten zur Gliederung dieser Filmelemente, und mir gefällt dieser Rhythmus.

Einwand: Aber wir Zuschauer sind das vom Fernsehen und vom Kino nicht gewöhnt. Also irritiert es mich.

UG: Ich kann doch nicht gängige billige Tricks in meine Filme einbauen, damit sie aussehen wie TV-Konfektionsware. Ich kann doch dem Kameramann vor einer Statement-Aufnahme nicht sagen, er müsse von Zeit zu Zeit zoomen, willkürlich den Bildausschnitt verändern, damit ich bei der Montage die von mir ausgewählten Fragmente in einer Weise hintereinander montieren kann, die die Schnitte zu verbergen sucht, um dem Zuschauer Kontinuität vorzutäuschen.

Ein solches Verändern des Bildausschnitts wird ja nicht vorgenommen, weil der Autor wirklich von einer 'Halbnahen' zu einer 'Grossaufnahme' wechseln will, sondern weil er an den Zuschauer denkt, dem er etwas vormachen will – weil die Montage des Films (die Arbeit) zum Verschwinden gebracht werden soll. Im Grund genommen sollen solche Tricks einen Eindruck von ungebrochener Realität vortäuschen, statt einzugestehen, dass ein Film ein Film ist, in dem bei der Montage selbstverständlich eine Reihe von Eindrücken hintereinander gefügt werden, um ein Geschehen in konzentrierter Form darzustellen, eine Aussage zu verkürzen, zwei auseinanderliegende Aussagen einer Person zusammenzubringen, um eine Thematik zu betonen.

Mir erscheint meine Art der Montage als selbstverständliche Form der Darstellung. Für das Publikum hingegen ist das selbstverständlich geworden, was Tag für Tag ins Haus geliefert wird.

Verlegenheits-Zwischenschnitte.

Bei den Dreharbeiten des Films «Die Zeit mit Kathrin» war der Kameramann erkrankt, ein von ihm empfohlener Kollege für einen Tag eingesprungen. Beim Drehen ergaben sich bald Probleme, weil er immer wieder nach originellen Blickwinkeln suchte und nach Sujets für Zwischenschnitte. Ich sagte ihm kurz, dass er jetzt ganz einfach auf das Geschehen konzentriert sein müsse.

In der Mittagspause sprachen wir darüber. Er erzählte mir, nach seinen ersten kleinen Fernsehen-Arbeiten habe man ihm Vorwürfe gemacht, weil er keine Zwischenschnitte aufgenommen hatte. Die zuständigen Journalisten sagten, seine Aufnahmen seien nicht vernünftig zu schneiden.

Inzwischen habe er sich daran gewöhnt. Wenn er jemanden aufnehme, der hinter seinem Pult sitze und vor der Kamera spreche, brauche es halt (mindestens) eine Zwischenschnitt-Aufnahme, damit man die Aussage kürzen kann, zwei Sätze unauffällig aneinander fügen kann. Inzwischen sei ihm das Aufnehmen von Zwischenschnitten zur Gewohnheit geworden, doch bemühe er sich in jeder Situation, etwas Besonderes aufzunehmen, nicht nur die üblichen gefalteten Hände auf dem Pult.

Er erzählt von einem Zwischenschnitt, den ein Kollege bei der Ankunft eines Staatspräsidenten in Kloten aufgenommen hatte. Damit sei ein kurzer Bericht montiert worden: Der Präsident winkend oben an der Türe des Flugzeugs. Dann unten auf dem roten Teppich die Begrüssung. Und dazwischen – um die lange Zeit des Heruntersteigens zu überbrücken – für zwei Sekunden die Räder des Flugzeugs.

Vermutlich haben Journalist, Cutter, Redaktor das Bild des nichtssagenden Zwischenschnitts gar nicht angeschaut. Es hatte einfach irgendein Bild eingefügt werden müssen, damit eine Art Kontinuität entstand. Natürlich sind zwei Sekunden eine relativ kurze Zeit für das Heruntersteigen, doch konnte so der Schnitt vermieden werden, durch den der Präsident (wie in einem Trickfilm) von oben nach unten gehüpft wäre. Durch den Zwischenschnitt konnte eine solche Irritation verhindert und ein vages Gefühl von zeitlicher Kontinuität geschaffen werden.

Ich fragte, was er denn aufgenommen hätte. Er zählte auf: das Publikum auf der Terrasse, die Soldaten in einem Glied, der Kontrollturm (bei Kameraleuten beliebt und dadurch ein wenig zu einem Wahrzeichen von Kloten geworden), die Schwanzflosse des Flugzeugs. Doch natürlich nur, wenn ein Schweizerkreuz drauf sei oder die Landesfarben des Gastes. Als Kameramann sei man auf der sicheren Seite, wenn man sich an Sujets halte, die nicht irgendwelche Bedeutungen haben könnten. Intern sei das heikel. Doch das Interesse des normalen Publikums gelte ja ohnehin dem Kommentar, der über dem ganzen Bericht liege. Die Bilder seien ja selten dazu da, um etwas zu zeigen, seien normalerweise eigentlich nur ein Nachweis dafür, dass das Ereignis stattgefunden habe, von dem der Kommentar spricht.

*     *     *

Am Nachmittag machte er wieder Aufnahmen für meinen Film, die mehr oder weniger meinen Vorstellungen entsprachen, doch wie ich diese montieren würde, blieb ihm ein Rätsel, sagte er.

Was er mir erzählt hatte, war für mich nicht neu; doch wurde mir doch noch etwas deutlicher, wie die Macher über ihre Bilder hinwegsehen. Das Publikum wird sich daran gewöhnt haben, dass sich ein aufmerksames Hinschauen nicht lohnt. Einige werden sich vielleicht darüber ärgern, wie sie von den Machern missachtet werden. Und einige Kameraleute dürften bemerken, dass das Publikum über ihre Arbeit hinwegsieht. Also lohnt es sich auch nicht, Aufnahmen zu machen, die das Hinschauen wert wären. Ein Teufelskreis.

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Wenn in Spielfilmen solche Verlegenheits-Zwischenschnitte gemacht wurden, nannte man das, in Anlehnung an die reitenden Western-Helden, 'einen Schnitt auf das Pferd' (auf dessen Kopf, auf die galoppierenden Hufe).

Teil 2.

Schnittmöglichkeiten bei Aufnahmen einer Person, die zum Autor spricht (der an der Kamera steht oder nahe daneben).

Montage, wenn die Einstellungen A (vor dem Schnitt) und B (nach dem Schnitt) die sprechende Person in unterschiedlichen Bildausschnitten zeigen.

Das Aneinanderfügen von Aufnahmen einer Person ist möglich, wenn die beiden Einstellungen mit unterschiedlichen Bildausschnitten aufgenommen wurden und ein Moment zu finden ist, in dem Haltung, Gestik und Mimik übereinstimmen.

Das Verkürzen von Aussagen, ist üblicherweise auf ein Verdichten einer Thematik aus. Und solche Schnitte können auch zu einem selbstverständlich wirkenden Fluss des Redens beitragen, was auch seine Probleme mit sich bringen kann. Vielleicht spricht diese Person in Wirklichkeit eher stockend. Es kann eine Medienpräsenz entstehen, die diesem Menschen nicht entspricht, die ihn seiner Eigenarten, seiner Lebendigkeit beraubt. Der typische Moment geht verloren, in dem er in aller Ruhe nach dem richtigen Wort sucht. Und damit geht auch etwas vom Gewicht seiner Aussagen verloren.

Ein solches Bereinigen von Medienauftritten führt aber auch dazu, dass wir in Dokumentarfilmen und Fernseh-Berichten oft Menschen sehen, die auf eine solch überzeugende Weise Gedanken entwickeln, zu der wir uns nicht fähig fühlen. So wird uns Abend für Abend vorgeführt, dass wir halt nicht so Wir kommen uns etwas dumm vor oder jedenfalls nicht so redegewandt. (Und die Schnitte? es wäre ja wahnsinnig anstrengend, wenn wir darauf achten würden wir haben uns schon lange daran gewöhnt, darüber hinweg zu sehen.)zwir haben uns ja angewöhnt, über die Schnitte hinwegzusehen.)

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Ausnahme: Aufnahmen mit 2 Kameras.

Wenn es in einem Film Sequenzen gibt, die mit zwei Kameras aufgenommen werden, ergibt sich die Möglichkeit eines Schnitts von der einen Kamera zur anderen (anderer Ausschnitt, anderer Standort), also eine echte Zeitkontinuität. Und aus der Konsequenz solcher Aufnahmen, aus der ganzen Erscheinung des Films, wird sich dem Zuschauer diese Form der Zeitkontinuität auch vermitteln.

'Die Wahrheit' der Realzeit wirkt am Überzeugendsten, wenn Schnitte innerhalb von gesprochen Sätzen, sogar von Worten gemacht werden.

Wenn sich diese Form der Darstellung einmal etabliert hat, können allerdings auch hier zusätzlich verkürzende Schnitte vorgenommen werden, die dadurch besonders unauffällig wirken. Auch dieser Sache ist also betreffend Kontinuität der Realzeit nicht prinzipiell zu trauen.

Teil 2a.

Noch einmal: Schnittmöglichkeiten bei Aufnahmen einer Person, die zum Autor spricht (der an der Kamera steht oder nahe daneben), doch nun mit dem gleichen Bildausschnitt.

Montage, wenn die Einstellungen A (vor dem Schnitt) und B (nach dem Schnitt) die sprechende Person im gleichen Bildausschnitt zeigen.

Verzicht auf Kontinuität.

Wenn sich in einem Film zwei Einstellungen mit gleichem Bildausschnitt folgen, versuche ich nicht, mit dem Schnitt eine Kontinuität der Handlung vorzutäuschen. Auch wenn die beiden sich folgenden Bilder ganz übereinstimmen, würde der Schnitt für die Zuschauer wie ein Fehler in der Filmkopie wirken.

In einem frühen Film hatte ich bei der Verkürzung einer Aussage den Eindruck, ein Gedanke werde vom Sprechenden so selbstverständlich weitergeführt, dass ich mich entschloss, an Stelle eines Schnitts, eine Überblendung einzusetzen. Vom Publikum wurde das problemlos hingenommen, doch mit etwas Distanz empfand ich es als Mangel an ästhetischer Haltung (auch heute noch).

Montage bei gleichem Bildausschnitt der sich folgenden Einstellungen.

Variante A:

Durch den Schnitt keine Kontinuität herstellen.

Wenn die Person im Bild vor und nach dem Schnitt im gleichen Ausschnitt zu sehen ist, achte ich darauf, dass sich die Haltungen im Moment des Schnitts möglichst stark unterscheiden. Das gilt auch für die Gestik: Falls es vor dem Schnitt Bewegungen gab, achte ich darauf, dass diese in der folgenden Einstellung keine Fortsetzung finden.

Also zwei Bilder, die sich so deutlich voneinander absetzen, dass sich der Blick des Zuschauers nach dem Schnitt einen Moment neu orientieren muss, wie wenn er ein ganz unbekanntes Bild sehen würde.

(Wenn sich die beiden Bilder ähnlich wären, könnte der Schnitt zwischen ihnen wie eine Bildstörung empfunden werden – jedenfalls etwas das irritieren und die Anteilnahme stören würde.)

Variante B:

Die sich folgende Einstellungen werden durch Schwarzfilm voneinander getrennt.

Wenn sich Variante A nicht realisieren lässt, montiere ich Schwarzfilm zwischen die beiden Einstellungen – 8 bis etwa 30 Kader, also im Bereich einer Sekunde. Die Dauer ergibt sich aus dem Sprachrhythmus, auch aus dem Gefühl für eine angemessene Pause.

Die Dauer der Schwarzteile soll auch in Beziehung zum allgemeinen Atem des Films stehen, zu seinem allgemeinen Rhythmus.

Der Entscheid ob direkter Schnitt oder Schwarzfilm hängt für mich auch davon ab, ob hier eine Thematik weiterentwickelt wird oder ob es gut wäre, wenn hier ein Akzent gesetzt würde, wenn die Gliederung des Films an dieser Stelle mehr Gewicht bekommen würde.

Ich suche für meine Filme im Laufe der Montage einen prinzipiellen Entscheid für direkte Schnitte oder Schwarz-Unterbrechungen zu treffen, denn wie die Filmbilder und der Montagerhythmus trägt auch dieser Entscheid zur allgemeinen Erscheinung des Films bei, zu seinem Gesicht.

Als an den Solothurner Filmtagen noch 35mm- und 16mm-Filme gezeigt wurden, machten wir vor der Vorführung jeweils einen kurzen Probelauf.

Nun hatte Solothurn auf Digital umgestellt und alle Filme mussten in Digital-Formaten eingereicht werden. Auch mein neuer Film würde da Premiere haben, im grossen Saal. Ein Probelauf habe keinen Sinn, denn die Vorführgeräte seien nach internationaler Norm eingestellt und daran lasse sich nichts ändern. Doch könne ich aus dem Saal mitteilen, falls ich die Lautstärke noch etwas anders wünschen würde.

Ich hatte in diesem Film zwischen einzelnen Sequenzen und innerhalb der Aussagen der Protagonisten kurze Schwarzteile eingesetzt. Es scheint, dass das Abspielgerät zwischen Film und Nichtfilm unterscheiden konnte, zwischen Filmbildern und Schwarz. So schaltete es während des ganzen Films bei jedem Schwarz-Teil (während Sekunden oder Sekunden-Bruchteilen) auf das leuchtende Blau um, das wir heute auf der Leinwand zu sehen bekommen, bevor eine Videoprojektion läuft.

Teil 3.

Wo schneiden?

Ich gehe immer noch von zwei Aufnahmen einer Person aus, deren Aussagen durch die Montage zusammengebracht werden sollen.

Egal für welche Form der Montage man sich entscheidet, wird sich die Frage nach dem genauen Ort des Schnitts stellen:

Am Ende einer Einstellung: Wenn die Pause zwischen dem Sprach-Ende und dem gewünschten Ort des Schnitts zu kurz ist.

Am Anfang der folgenden Einstellung: Wenn die Pause zwischen dem gewünschten Ort des Schnitts und dem Sprach-Beginn zu kurz ist.

Immer wieder kommt es vor, dass am Ende der ersten Einstellung fast kein Moment der Stille ist, weil gleich ein nächster Satz folgen würde (der aber weggeschnitten ist). In dieser Pause von einer Sekunde Länge möchte ich nicht schneiden. Abgesehen davon, dass es meinem Gefühl für den Rhythmus des Films widersprechen würde, könnte, der Eindruck entstehen, dass ich einer Person 'das Wort abschneide' – dass ich nicht an ihr, sondern nur an ihren Sätzen interessiert bin.

Das gleiche Problem kann auch in der Einstellung nach dem Schnitt bestehen. Auch da kann eine zu kurze Pause sein, zwischen einem vorangegangenen (weggeschnittenem) Satz und der Aussage, die ich verwenden will. Es könnte auch hier als Missachtung einer Person wirken, wenn ihr keine Zeit zum Einatmen zugestanden wird, wenn es wirkt.

Dazu kommt, dass mit einem Schnitt nicht nur zwei Sätze hintereinander montiert werden, sondern dass dieser Person auch ein angemessener Raum zwischen den Sätzen zugestanden werden muss. Für eine kleine Mundbewegung, ein Augenschliessen, für einen kleinen Moment des Zögerns, des Nachdenkens – für all das, was über ein enges Verständnis von Sprache hinausgeht, was deren Lebendigkeit ausmacht.

Bei den Aufnahmen, von denen hier die Rede ist, gibt es ja auch ein Gegenüber (hinter oder neben der Kamera). Wenn dieses Gegenüber richtig zuhört und anteilnimmt, auch jederzeit ein Nachfragen vorstellbar ist, wird im Gespräch so etwas wie eine Gemeinsamkeit entstehen.

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Was für den Dokumentarfilm gilt, gilt natürlich auch für das Radio, wo oft Texte zu eng montiert werden, sodass der Eindruck von Atemlosigkeit entsteht oder von jemandem, der automatisch einen Text von sich gibt, den er schon oft abgesondert hat.

Wenn jemand wirklich richtig zuhört, sich auf das Gegenüber einstellt, kann auch so etwas wie ein gemeinsamer Raum entstehen. Fast eine Gemeinsamkeit des Atems? die vielleicht auch die Zuhörer einschliessen kann (oder die Zuschauer).

Einen anderen Ort für den Schnitt finden.

Wenn ich in den Sekunden zwischen den beiden aufeinander folgenden Sätzen keinen guten Ort für den Schnitt von Einstellung A zu Einstellung B finde, versuche ich weitere Worte einzubeziehen. Ein einzelnes Wort am Ende der ersten Einstellung, wie es sich in spontanem Sprechen ergeben kann «… verstehst du?», «… so war das» oder ein kleiner Seufzer, ein kurzes Lachen, ein schweres Atmen oder ein Blick. Und am Anfang der folgenden Einstellung ein einzelnes Wort, das mir bedeutungslos schien? ein Ansatz zum Sprechen, der wieder zurückgenommen wurde? ein abbrechender Satz, den ich weglassen wollte? unscheinbare Elemente, die mir so nebensächlich schienen, dass ich sie auch nicht in mein Protokoll aufgenommen hatte? Elemente, die den Film um fünf oder zehn Sekunden verlängern würden, aber ihn lebendiger und lebensnaher machen und oft etwas an der Sprechweise einer Person hervorheben, das sie mehr charakterisieren kann, als ihre Sätze.

Beim Herumschlagen mit solchen Problemen, kam es aber auch vor, dass sich ein Text (nach hinten oder nach vorn) um einen ganzen Satz verlängerte, der mein Montage-Problem löste, der aber hinter meinem Rücken auch die Thematik des Films veränderte, erweiterte, weiter fasste.

Man kann ja nicht so tun, als würde es den Film schon geben, bevor er gemacht ist. Wenn bei der Montage unverhofft ein Satz dazu kommt und sich ein Gewicht verschiebt, dann ist das auch eine Veränderung an der Thematik, an der Gestalt, die der Film haben wird.

Notfalls eine künstliche Verlängerung einer Einstellung.

Wenn sich kein Weg findet, um die beiden sich folgenden Einstellungen auf eine gute Weise zusammenzubringen, gibt es digitale Möglichkeiten, um sperriges Filmmaterial in eine befriedigende Form zu bringen. In eine Form, die – trotz der Verkürzung ihrer Aussage – einen richtigen Eindruck des Wesens dieser Person vermittelt. Dies durch die künstliche Verlängerung des Bereichs zwischen ihren zwei Aussagen, eine Verlängerung der Filmaufnahme vor oder nach dem Schnitt.

Den Zeitraum dehnen – nach dem letzten Wort oder vor dem ersten Wort. Es ist möglich, wenn es einen Moment gibt, in der die Person relativ ruhig ist. Dann kann eine Folge von Bildern aus diesem Zeitraum mehrfach kopiert werden – jedes Bild zwei Mal kopiert, verdoppelt diesen Zeitraum – jedes Bild drei Mal kopiert, verdreifacht den Zeitraum – aus einer Sekunde werden drei Sekunden. Das ist schon eine ansehnliche zusätzlicher Ruhe zwischen zwei Sätzen.

Zusätzlich besteht noch die Möglichkeit, das letzte Bild einer solchen Dreifachkopierung in eine Standkopierung übergehen zu lassen – vielleicht 5 bis 12 unbewegte Bilder.

Durch Dehnung und Standkopierung entsteht ein Zeitraum zwischen den Sätzen, der dem Wesen einer Person entsprechen kann.

Eine Standkopierung – das Einfrieren eines Bildes – dieses Erstarren würde bei der Projektion auf der Leinwand auffallen. Also wird man bei der definitiven Bildbearbeitung (ColorGrading) nicht nur das letzte Bild standkopieren, sondern abwechslungsweise das letzte und das zweitletzte Bild (wenn zwischen diesen keine Bewegung ist).

Wenn aber nach einem letzten Satz kein Moment der Ruhe ist, der gedehnt werden könnte, gibt es die Möglichkeit, nicht die Ruhe sondern einen Teil des letzten Wortes zu dehnen (die letzten Bilder innerhalb des letzten Wortes). Es gibt Buchstaben, deren Aussprechen die in unserer Kultur an den Mundstellungen sichtbar sind: P, B, M und je nach Sprechweise auch D, O, V, W. Wenn am Ende eines Wortes keine solche Laute vorkommen (sichtbar sind), kann dieser Teil des Bildes durch Doppel- oder Dreifachkopierungen noch etwas gedehnt werden, über den eigentliche Klang des Wortes hinaus.

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Was ich hier am Beispiel sprechender Personen schilderte, gilt natürlich genauso für die Montage von Handlungen. Wenn zu sehen ist, wie jemand einen wichtigen Text zu Ende schreibt, kann ich daran interessiert sein, dass seine Hand nach dem letzten Wort einen Moment verharrt, bevor nach zwei Sekunden der Schnitt folgt (wo die Hand des Darstellers schon nach einer halben Sekunde in heftiger Bewegung aus dem Bild verschwand). Also könnte ich die 12 vorhandenen Bilder der unbewegten Hand auf das Vierfache dehnen – die halbe Sekunde der Stille auf zwei Sekunden verlängern.

Teil 4.

Zwischenschnitte, Detail-Aufnahmen mit Bedeutungen.

Am Anfang dieser Texte war von Verlegenheits-Zwischenschnitten die Rede, von Bildern beliebiger Details, die zwischen zwei Einstellungen montiert sind, um ein vages Gefühl von Zeitkontinuität zu vermitteln oder einen etwas unkonventionellen Schnitt zu vermeiden – Bilder, die bedeutungslos sein dürfen oder sein sollen.

Andrerseits gibt es aber auch Einstellungen, die wie Zwischenschnitte wirken, die aber etwas Wesentliches zu einer Szene beitragen – auf unterschiedliche Weise.

(Beispiele aus dem Film «Gute Tage»):

Renate malt:

Bereicherung der Schilderung der Situation und Charakterisierung von Renate.

Renate kniet am Boden und malt (Nahaufnahme).

Neben ihr am Boden eine Schale mit Kirschen.

Renate malt (Grossaufnahme).

Boris arbeitet an Holzskulptur:

Eine etwas konkretere Vorstellung von dem bekommen, woran Boris arbeitet, was er realisieren möchte.

Boris spricht davon, dass er jetzt wieder plastisch arbeiten kann (Nah) «So Zeugs machen...».

Auf dem Tisch eine Skizze der Skulptur, an der er zu arbeiten begonnen hat.

Boris spricht (Gross) «…und das ist, ja das ist schön.»

Schang arbeitet an Holzskulptur.

Schangs Schwierigkeiten in der Werkstatt, durch den Zwischenschnitt konkret sehen.

Nahaufnahme von Schang. Seine Werkstatt ist noch nicht richtig eingerichtet. Ich spreche mit ihm, sage, es sei jetzt wohl auch schwierig für ihn, weil die Werkzeuge so weit weg seien.

Die vielen Werkzeuge sind auf einer Ablage am Fenster ausgebreitet. Es wird deutlich, dass die Werkstatt noch nicht so eingerichtet ist, wie er es brauchen würde.

Schang stimmt zu und spricht von der Schwierigkeit des Stehens, des Gehens.

Boris arbeitet an Steinskulptur:

Eine Raffung der Zeit (Form der filmischen Erzählweise), Und: die Pfeife vor Boris, ein Anblick, dem schwer zu entgehen ist.

Boris arbeitet an einer Steinskulptur, er trägt eine Mütze, raucht Pfeife.

Die Mütze auf dem Kopf / auf der Hobelbank liegend.

Er (in Nahaufnahme) sitzt ohne Mütze und ohne Pfeife an der Hobelbank, die nicht sichtbar ist.

Auf der Hobelbank liegt die Pfeife.

Er (in Grossaufnahme) schaut hinunter (zur Pfeife) und spricht über sein Rauchen, das er als hirnrissig bezeichnet.

Wenn ich die Beispiele überblicke, sind es vor allem Betonungen des Konkreten, des sinnlich Wahrnehmbaren.

Es sind aber auch Beispiele filmischen Erzählens, mit seinen zeitlichen Verdichtungen.

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Urs Graf

Notizen zur Filmästhetik



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